Auf der Kammerversammlung am 18. November 2024 kritisierte die Architektin Ingrid Spengler die herrschende Hamburger Vergabepraxis für öffentliche Aufträge im Rahmen von VgV-Verfahren und hielt ein Plädoyer für eine andere, fairere und stärker an Qualitätsaspekten orientierte Vergabe öffentlicher Aufträge. Es war der Wunsch der Kammerversammlung, dass das der mündlichen Rede zugrundeliegende Papier von Ingrid Spengler und Manfred Wiescholek auf der Website sowie den DAB-Regionalseiten der HAK veröffentlicht wird. Diesem Wunsch kommen wir sehr gerne nach und ergänzen, dass der Vorstand der Kammer sich intensiv des Themas einer Verbesserung der VgV-Verfahren und der Stärkung von Wettbewerbsverfahren widmen wird. Lesen Sie nun hier das Positionspapier von Frau Spengler und Herrn Wiescholek im Wortlaut:
Es ist kein Geheimnis: die Kammern, die Bundesstiftung Baukultur, der BDA, das DAB, die Bauwelt, stellen einvernehmlich fest: zu wenige Wettbewerbe, überfrachtete VgV-Verfahren. Der competitionline-Monitor zeigt an, dass die Zahl der Wettbewerbe nach RPW in den letzten 10 Jahren auf ein Drittel geschrumpft ist. 2023 waren es bundesweit mit 366 Wettbewerben nur ca. 2% aller Ausschreibungen. In Hamburg waren es 2023 bei 361 Ausschreibungen mit insgesamt 9 RPW -Wettbewerben auch nur 2-3%.
Deshalb müssen wir damit leben, dass Bauvorhaben der öffentlichen Hand meist als VgV-Verfahren oder mit einem dem RPW-Verfahren vorgeschalteten VgV-Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden. Die Verfahren werden aufgesetzt von Vergaberechtsanwälten mit Erfahrung in der formellen Umsetzung des Vergabewesens. Wir haben gelernt, was mit so sympathischen Begriffen wie „Beschaffung, Bieter, Zuschlag, Eignungsleihe,“ etc. gemeint sein könnte. Die Bewerbung zur Teilnahme ist aufwändig und komplex. Sie mündet in ein oft undurchschaubares Punktesystem. Doch welche Matrix kann das kreative Potential und die Innovationskraft der teilnehmenden Büros darstellen? Woraus geht hervor, dass Meistbepunktete kompetenter und innovativer sind? Eine Matrix suggeriert Objektivität und Sicherheit, lässt jedoch gestalterische Qualität, Planungskompetenz und baukulturelle Relevanz offen.
Es werden vielfach für die Bewerbung zur Teilnahme ohne zwingenden Grund „nutzungsspezifische Referenzen“ gefordert, obwohl sogar in der VgV zu „Eignung“ steht: „Es ist in der Regel unerheblich, ob der Bewerber bereits Objekte derselben Nutzungsart geplant oder realisiert hat.“ Auch wird das „Verfallsdatum“ einer Referenz oft ohne ersichtlichen Grund auf unter 10 Jahre festgesetzt. Beide Faktoren erzeugen einen deutlichen Wettbewerbsnachteil für Büros, die zwar leistungsfähig sind, aber nicht die Menge an exakt passenden Referenzen für einen genauen Zeitraum haben. Sehr große Büros erreichen mit Leichtigkeit die meisten Punkte, allein schon wegen der Vielzahl an Projekten, die innerhalb der Referenzzeit nachgewiesen werden können. Mittlere Bürogrößen erreichen vielleicht die Mindestkriterien, scheitern aber an der konkurrenzfähigen Punktzahl. Dabei hätte der öffentliche Auftraggeber genügend Spielraum im Rahmen der VgV, sich auf wenige vernünftige Kriterien zu beschränken, um auf übertriebene Zugangshürden zu verzichten. Wer, wenn nicht der öffentliche Bauherr, sollte vorbildlich für faire und gerechte Bedingungen sorgen?
Im GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung) wird darüber hinaus formuliert: „Wettbewerbsbeschränkende Praktiken liegen vor, wenn Marktzutrittschancen eingeschränkt werden, ohne dass dies durch wirtschaftliche Effizienz begründet werden kann.“ Schon die EU-Vergaberechtsmodernisierung 2016 zielte darauf ab, die Vergabeverfahren effizienter, einfacher und flexibler zu gestalten um bewusst die Teilnahme kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) an Vergabeverfahren zu erleichtern. Dies wurde so nicht umgesetzt. Der Wettbewerbsvorteil für sehr große Büros führt zu einer verhängnisvollen Konzentration. Selbst mittelständische Büros haben kaum Chancen auf dem VgV-Markt und sehen ihre Existenzgrundlage gefährdet, von Berufsanfängern ganz zu schweigen. Sollte es so weitergehen, werden wir in naher Zukunft statt kreativer Vielfalt eine Monopolisierung von „Architekturfabriken“ erleben.
Wir gehen davon aus, dass unsere Interessenvertretung, die Hamburgische Architektenkammer, sich in der Pflicht sieht, für bessere Bedingungen ihrer Mitglieder zu sorgen, indem sie den Dialog mit Politik, institutionellen Bauherrn und deren Beratern sucht. Es könnte zusätzlich zielführend sein, ein konstruktives Gespräch mit Senatsmitgliedern zu führen, um den notwendigen Paradigmenwechsel vorzubereiten und Verfahren tatsächlich effizienter, einfacher, flexibler und gerechter zu machen. Ein „Arbeitskreis“ zur ehrenamtlichen Selbsthilfe wäre hier keine Lösung. In Gesprächen wurde deutlich, dass viele der betroffenen Büros professionelle Hilfe der Kammer erwarten, bevor sie ganz vom Markt verdrängt werden. Darüber hinaus wünschen wir uns natürlich, dass neben den VgV-Verfahren endlich der klassische Wettbewerb wieder in Fahrt kommt. Ab und zu wieder ein offener, oder ein unaufwändiger zweistufiger Wettbewerb mit zugelosten jungen Büros, fördert den Nachwuchs und belebt die Baukultur: Innovation statt Bürokratie!
Ingrid Spengler
Fredo Wiescholek
18.11.2024